Was passiert bei der Hohenloher Vorsetz?

Vorsetz heißt in Hohenlohe der Jahrhunderte alte Brauch, wenn die Menschen während der kalten Jahreszeit abends zusammenkamen. Heute wissen nur noch die wenigsten davon. Die Bäuerin Luise Wirsching aus Spielbach gehört dazu, denn sie hat die Tradition selbst erlebt.

 

Entstanden ist der Brauch aus den Spinnstuben im 18. Jahrhundert. Um Licht und Heizung zu sparen, kamen die Frauen abwechselnd bei einer Familie zusammen, um gemeinsam den Flachs zu spinnen. Davon zeugen Bezeichnungen für die Tradition wie Spinnstube, Lichtstube oder Lichtkarz, die anderswo gebräuchlich sind.

 

Warum heißt der Brauch in Hohenlohe Vorsetz?

Die Frage hat Luise Wirsching natürlich erwartet: „Vorsetz kommt von ,sich zusammensetzen‘ und ,etwas vorgesetzt bekommen‘.“ Damit ist schon viel erklärt, was bei der Vorsetz passiert. Tagsüber, so erzählt Luise - sie ist mit allen per du -, hatte jedes Mitglied der Bauersfamilie seine Arbeit. Aber abends, nach dem Stall, war Zeit für die Vorsetz.

 

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Wann war die Vorsetz?

„Vor Weihnachten eher selten.“ Nach der Arbeit auf dem Feld und im Garten musste ja zuerst alles im Haus in Ordnung gebracht werden. Es wurde geputzt, geflickt und gerichtet. „Normalerweise begann nach Weihnachten die Vorsetz, und sie ging bis Lichtmess.“ Diese Zeit war so etwas wie die Urlaubszeit der Bauern. Lichtmess, der 2. Februar, steht für den Beginn des neuen Bauernjahrs. Aber das ist eine andere Geschichte.

 

Warum gab es die Vorsetz?

Kein Radio, kein Fernseher, kein Internet, kein Auto: „Doa sann die Leit eweng zammghockt zur Unterhaltung“, erklärt die Bäuerin in schönstem Spielbacher Dialekt. Es war wie ein Fest, wenn man zur Vorsetz eingeladen war.

 

Wer hat zur Vorsetz eingeladen?

Geschwister, Nachbarn, Schulkameraden und Freunde haben eingeladen, „immer eine Familie zu einer anderen Familie“. Die, bei denen man eingeladen war, hat man dann natürlich auch wieder eingeladen, und zwar mit Kind und Kegel. „Bei den großen Bauern waren auch Knechte und Mägde zur Vorsetz mit eingeladen.“

 

Was hat man bei der Vorsetz gemacht?

Zuerst wurde gearbeitet. Die Frauen haben gesponnen (Wolle und Flachs), gestrickt (Strümpfe, Handschuhe, Pullover), die jungen Mädchen haben für ihre Aussteuer gestickt (Sofakissen, Tischdecken, Schürzen) und gehäkelt (Kopfkisseneinsätze, Bordüren um Tischdecken und Taschentücher) und sich dabei erzählt, was das Jahr über so passiert ist. Die vielen Informationen hat Luise übrigens fein säuberlich in ihren Unterlagen notiert. Und was haben die Männer gemacht? „Die haben Bänder für die Garben gemacht, Karten gespielt und sich unterhalten.“ Die Kinder haben Spiele gemacht, „Mensch ärgere dich nicht“, „Ich sehe was, was du nicht siehst“.

 

Getrunken wurden Most, Glühwein oder Tee. Manchmal durfte man auch die Liköre probieren, die die Bäuerin im Herbst gemacht hatte. Zum Essen gab’s Weihnachtsplätzchen, Christstollen, Hutzelbrot und nach der Weihnachtszeit Brot mit Marmelade oder Honig. Im Anschluss haben die Menschen gemeinsam gesungen; wenn ein Musikant dabei war, wurde auch getanzt.

 

Warum gibt’s keine Vorsetz mehr?

„In den 1960er Jahren ist die Vorsetz nach und nach verschwunden“, erinnert sich Luise, „der Fernseher hat ihr Ende eingeläutet.“ Sie selbst hält die Tradition (außer in Corona-Zeiten) freilich noch aufrecht. Und das kam so: 2006 war die Spielbacherin vom Schwäbischen Albverein zur Vorsetz eingeladen, um mit ihrer Ziehharmonika zu spielen. „Da hab ich mir Gedanken gemacht, wie das damals so war“, erzählt sie. Herausgekommen ist ein abendfüllendes Programm über die Vorsetz. Warum sie das tut? „Aus Spaß an der Freud, und weil es auch in der heutigen Zeit gut tut zusammenzusitzen.“ Für ihr Engagement hat die 74-Jährige im vergangenen Jahr übrigens  den Agrarkulturpreis der Bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch Hall (BESH) erhalten. „Eine wirkliche Bäuerin im besten Sinne“, beschreibt sie BESH-Gründer und -Vorsitzender Rudolf Bühler in seiner Laudatio.

 

Zuletzt wuchtet die Luise Wirsching eine schwere Ofenplatte auf den Tisch. Sie stammt aus ihrem Elternhaus und zeigt eine Vorsetz, wie sie der Gravur nach wohl im Jahr 1747 stattgefunden hat.